60 Jahre lang malten Adenauer, Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder das Bild vom mächtigen, aber freundlichen Deutschland, in 17 Stunden hat es Angela Merkel zerstört. Angestachelt von Wolfgang Schäuble.

Stern Wirtschaftsreporter Andreas Hoffmann, der die Verhandlungen in Brüssel miterlebt hat! Der Stern, 15.07.2015
Das neue Deutschland

Angela Merkel und Wolfgang Schäuble haben in 17 Stunden zerstört, woran ihre Vorgänger 60 Jahre lang gearbeitet haben. Das Bild vom freundlichen Deutschland gibt es nicht mehr, nur vom furchteinflößenden.

Erinnern Sie sich an das Jahr 2006, das Sommermärchen der Fußballweltmeisterschaft. Damals waren die Ausländer begeistert über unser Land. Diese Deutschen, so leicht und locker, sie können sogar Partys feiern. Wow.

Seit diesem Wochenende begeistert sich keiner mehr über Deutschland. Das Ausland ist verstört. Dank Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Das Bild Deutschlands lautet jetzt: Wir zwingen Europa unsere Regeln auf, und notfalls verwandeln wir den Umgang mit Griechenland in ein „Verhältnis zwischen Kolonialherrschern und Vasallen“, wie die britische Financial Times schreibt.

Die politischen Spin-Doktoren in Berlin können das Vorgehen natürlich erklären. Sie sagen: Schäuble musste den zeitweiligen Austritt Griechenlands, den Grexit, beschreiben, weil die Griechen den Abgrund sehen mussten. Oder: Merkel musste hart verhandeln, weil ihre Fraktion sonst einen Aufstand gemacht hätte.

Teilnehmer sprachen von einem „Massaker“ in Brüssel

Beide Erklärungen sind falsch. Alexis Tsipras musste nicht in den Abgrund schauen, der griechische Ministerpräsident hatte ihn bereits gesehen. Am vergangenen Dienstag, als ihm die Regierungschefs einschärften: Alexis, Du musst Dich ändern, sonst darfst Du gehen. Teilnehmer sprachen nachher von einem „Massaker“ in Brüssel.Und glaubt wirklich jemand an einen Aufstand in der Union gegen Angela Merkel? Diese Frau hat bei der letzten Bundestagswahl die absolute Mehrheit knapp verfehlt. Weit und breit ist kein Nachfolger in Sicht, für die Bundestagswahl 2017 hoffen viele inständig: Angela tritt bloß wieder an.

Nein, was Merkel und Schäuble in Brüssel angerichtet haben, war keine Taktik. Es war Starrsinn und Detailversessenheit, gepaart mit Wirrwarr und Rachsucht. Die Rachsucht kann man menschlich sogar nachvollziehen, angesichts der Pirouetten des Alexis Tsipras. Doch zur Politik gehört es sich eben nicht von Gefühlen leiten zu lassen, sondern von der Vernunft. 60 Jahre lang malten Adenauer, Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder das Bild vom mächtigen, aber freundlichen Deutschland, in 17 Stunden hat es Angela Merkel zerstört. Angestachelt von Wolfgang Schäuble. Schäuble hat den Motor aus dem Takt gebracht

Was soll man von Schäuble überhaupt halten? Der Mann ist Karls-Preis-Träger wegen seiner Verdienste um Europa, er sitzt seit über 40 Jahren im Parlament, hat die deutsche Einheit verhandelt. Viele flüstern seinen Namen mit Ehrfurcht. Dieser Stratege, dieser Europäer.

Europa funktioniert nur, wenn Deutschland und Frankreich zusammenarbeiten. Das weiß Wolfgang Schäuble. Der deutsch-französische Motor muss laufen, sonst stockt Europa. Doch Schäuble hat den Motor aus dem Takt gebracht. Sein Vorschlag eines zeitweiligen Grexit verprellte die Franzosen, sie wollen Europa zusammenhalten, nicht auseinander treiben. Die Verhandlungen und das Verhältnis zu Paris hat er belastet. Und Schäuble legte nach. Am Dienstag, als viele in Brüssel über das Ergebnis erleichtert waren, sagte er, einige in der Bundesregierung halten den Grexit für die bessere Lösung. Das Schreckgespenst, das alle bannen wollten, kramte er hervor.

Der Preis für die Rettung Griechenlands ist hoch

Was er damit bezweckt? Unklar. Athen noch mehr auf Kurs zwingen? Unnötig. Frankreich ärgern? Überflüssig. Der Kurs von Wolfgang Schäuble lässt einen ratlos zurück. Ein Irrlicht in Europa. Soll der Kontinent überleben, brauchen wir verbale Abrüstung, nicht Aufrüstung.

An diesem Wochenende haben wir Griechenland noch mal gerettet, aber der Preis dafür ist hoch. Sehr hoch. Europa hat Werte, die es zu bewahren gilt, sagt Angela Merkel oft. Dass es zu diesen Werten gehört, dass Starke die Schwachen demütigen, sagt sie nicht. Wenn die EU-Staaten nicht ihren Umgang ändern, wenn sie nicht an Solidarität denken, und wenn sie sich nicht ihrer Geschichte erinnern, dann wird der Euro nicht überleben. Und Europa auch nicht.

 

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